Diese Leinenbanderole ist für mich. Nicht für Linus. Nur für mich, für meine Psychohygiene.
Übrigens: Die „KreativWG“ macht tolle Sachen für Assistenzhunde: KreativWG auf Facebook
Tja, wie ich bereits im letzten Beitrag schrieb – die angeborene Perfektion eines angehenden Assistenzhundes lässt doch oft zu wünschen übrig. Nun, die „angeborene Perfektion“ scheint bei Linus sowieso irgendwo zwischen Fangzähnen und Reißzähnen ein Schattendasein zu fristen…
Wie zeigt sich das Pubertier?
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„Spielen? Jaaa! Super!“
Kuscheltier im blitzblanken Fleischfressergebiss und dann nichts wie ab mit Turbo durch die untere Etage. Mein armes Parkett.
Aber auch: armes Kuscheltier. Denn nachdem der Athlet seine Beute genügend oft verschleppt hat, geht es ans Eingemachte: zerrrrrupfen bis die Eingeweide, äh Watte, herausquillt.
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„Komm, Linus, wir gehen kurz zum Lösen raus!“
Linus kennt das Signal „Lösen“ schon von Welpenbeinen an. Ist sehr praktisch, wenn man wegmöchte (mit oder ohne Hund), so kann man sicher sein, dass im Auto oder während der Abwesenheit kein menschliches, sorry, tierisches Bedürfnis entsteht.
Schnell an die Leine, gegenüber zum Pinkelbaum. Natürlich macht der angehende Assistenzhund sofort sein Geschäft. Natürlich. Mit einer kleinen pubertären Einschränkung: gepinkelt wird nur in Minitröpfchen – man muss ja immer einen genügend großen Vorrat zum Markieren mit sich herumtragen!
D. h., das sorgfältig einstudierte Signal „Lösen“ ist sehr kreativ zum Signal „Markieren“ transformiert worden…
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„Huch!!! Iiih! Da hat mich ein Zweibeiner berührt! Bin doch kein Welpe mehr!“
Der Nicht-mehr-Welpe ist an manchen Tagen regelrecht berührungsempfindlich. Daher achte ich sehr darauf, Berührungen vorher deutlich zu machen: Wir haben das Signal „anziehen“ bzw. „ausziehen“, wenn Geschirr/Halsband an- oder ausgezogen werden sollen. Vor dem Kämmen darf Linus ausführlich am Kamm schnuppern, Streicheleinheiten werden nicht mehr „einfach so“ gegeben, sondern nur, wenn Linus von sich aus Bereitschaft dazu zeigt.
Letzteres fällt mir sehr schwer.
Der Körperkontakt zu ihm hilft mir oft, mich zu erden. Ich bin ein sehr haptisch orientierter Mensch und habe mir sehr sorgfältig ausgesucht, welches Fell mein Assistenzhund haben sollte: nicht so kurz, möchte darin wuscheln können. Ebenso die Größe und das Gewicht: ab 50/55 cm und ab ca. 20/25 kg. Das Gewicht von Linus an oder auf meinen Beinen lässt meine Wahrnehmung schneller ins Hier und Jetzt zurückkehren.
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Multitasking unmöglich…
Die Welt ist so spannend, dass alles auf einmal erkundet werden muss! Man könnte ja etwas verpassen! Das sieht dann beispielsweise so aus:
Wir sind auf unserer „Löse-Strecke“ vor dem Haus unterwegs. Linus hebt das Bein, sieht dann aber kurz vor dem Herauspressen der 5 Tröpfchen (siehe Abschnitt „Lösen“) ein Blättchen, das sich im Wind treiben lässt. Hurra! Beute! Das Lösen ist vergessen. Oder: Er läuft los, während der satte Strahl den halben unteren Hund bepinkelt…
Linus trottet zum Wassernapf, der Durst ist groß. Auf dem Weg dorthin stolpert er über ein Baumwollfädchen. Ah! Futter! Trinken ist vergessen…
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Rrrrumms! Mein Schultergelenk knirscht und meine Armmuskeln haben eine Dehnung ähnlich die eines Regenwurmes erreicht.
Spaziergang (?) mit meinem Azubi. Schon lange nicht mehr im Wald wegen Reizüberflutung, sondern nur noch im freien Feld. Aber auch im Feld raschelt es verheißungsvoll links und rechts des Weges. Hat sich da nicht ein Getreidehalm bewegt??? Eine Vorderpfote hebt sich, die Rute steht steil oben, der Rücken wird zum Sprung gekrümmt.
„Linus, Tabu!“
Boah. Spielverderberin. Die Maus hätte ich gehabt!
Spaziergänge gibt es beim Pubertier nicht. Es sind Trainingsrunden. Wir trainieren Leinenführigkeit, auf mich achten und Jagdverhalten eindämmen. Sonstige Aufgaben, vor allem die Assistenzaufgaben, die ich Schritt für Schritt von drinnen nach draußen verlagern möchte, haben keinen Platz mehr dabei.
Das Pubertier möchte jagen.
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Hocherregung! Immer und überall!
Nein, ich rede jetzt nicht von mir, von einem der klassischen Symptome bei einer kPTBS (Hyperarousal), sondern von meinem souveränen Azubi. Linus war schon immer ein sehr reger Welpe (oftmals zu meinem großen Leidwesen, siehe frühere Blogeinträge), aber seit seiner Geschlechtsreife geht er mit 500 PS von Null auf Tausend.
Verkehrte Welt. ER sollte als souveräner Hund helfen, MEINE Hocherregung herunter zu regulieren – derzeit läuft es genau anders herum: ich bin in allen Lebenslagen souverän (jaaaa!?) und versuche Linus zu vermitteln, dass er cool bleiben kann. Natürlich geht das nicht immer, daher meide ich seit Wochen Situationen, von denen ich weiß, dass ich meine Coolness gegenüber Linus nicht halten kann, Innenstädte, Einkäufe, Begegnungen etc. Das schränkt unsere Mobilität sehr ein und auch den Fortschritt der Erziehung…
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„Sitz.“ — „Wie meinen?“
„Legen.“ — „Was ist das für ein komisches Wort?“
„Tabu!“ — „Gibt’s nicht.“
„Futter.“ — „Jaaaa! Endlich mal eine klare Aussage, die ich verstehe! Her damit!“
So oder so ähnlich laufen manchmal Dialoge zwischen Linus und mir. Seine Großbaustelle im Gehirn hat zumindest temporär ein paar (unwichtige!) Infos gelöscht. Ich übe mich im Unterscheiden von „Ich weiß echt nicht, was die von mir will…“ und „Interessiert mich gerade echt nicht!“. Leider gibt es keine neutrale Stelle, die mir eine Erfolgsquote dabei nennen könnte.
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„Mmh, Teppich! Lecker! Da kann ich prima ein bisschen dran rumknabbern! Oh! Daneben ein Tischbein, klasse! Fangzähne müssen durch Raspeln von Holz geschärft werden!“
Ich habe es erst nicht geglaubt: Mein mühsames Tabutraining im Welpenalter hinsichtlich meiner Einrichtung ist weg. Das Kind, ähm, der Teenie ist wieder in der oralen Phase! Naja, ganz so extrem wie im Welpenalter ist es nicht, aber ich kann Linus im Haus wieder nicht alleine herumstromern lassen – gemerkt habe ich es, nachdem an einem Teppich plötzlich eine ganze Ecke fehlte…
Pubertät macht nicht nur den Zweibeinern, sondern auch den Vierbeinern viel Stress und was macht ein Hund u.a. zum Stressabbau? Richtig: Kauen…
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Eine letzte Eigenschaft möchte ich nicht vorenthalten: Der Gernegroß ist nach wie vor oftmals einfach nur Welpe: verspielt, kuschelbedürftig und möchte mit seinen 62 cm und 32 kg auf meinen Schoß (Wie sagte meine Trainierin? „Dahinter sieht man dich gar nicht mehr!“ ).