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Basisschrift ? Vollschrift ? Kurzschrift ? Zahlen, Mathematik ? Musik ? Fremdsprachen ? Eurobraille/Computerbraille ? Tasten und Hören ? Mit Braille spielen ? alle sind kreativ

"Willkommen!" in Vollschrift


Möchten Sie die Überschrift erknobeln? Dann schauen Sie hier in die Brailletabelle:

Brailletabelle der deutschen Blindenbasisschrift (Auswahl)
Brailletabelle der deutschen Blindenbasisschrift (Auswahl)

Für die Nicht-Knobler ist hier die Lösung.

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Wieso eine Seite zum Thema Brailleschrift, wo es doch auf dieser Homepage schwerpunktmäßig um Alltagskreativität geht? Nun, wie ich früher beschrieben habe, finde ich häufig kreative Entspannung auch in der Form, dass ich mich etwas intensiver mit einem Thema beschäftige, dass mich aus irgendeinem Grund gerade lockt. Ein Bereich meines Berufes ist solch ein „lockendes“ Thema: die Brailleschrift. Sie hat nach über 20 Jahren Berufserfahrung für mich noch nichts an Anziehungskraft verloren und daher möchte ich einen – zumindest für den Anfang – kleinen Überblick dazu geben.

Wer sich intensiver mit Alphabeten für behinderte Menschen beschäftigen möchte, dem empfehle ich www.fakoo.de.


Punkt um Punkt

"Zelle" v. 6-Punkt-Braille (Vollzeichen)

Diese 6 Pünktchen bilden die Grundform der Brailleschrift, wie sie auf dem Papier gedruckt verwendet wird.

Die Größe dieser „Zelle“ wird bestimmt durch das Minimum Separabile der Fingerkuppe eines erwachsenen Menschen. In der Optik bezeichnet das Minimum Separabile den kleinstmöglichen Sehwinkel, d.h. den Abstand, unter dem 2 Punkte unter gegebenen Bedingungen (Abstand, Beleuchtung etc.) noch als 2 getrennte Punkte wahrgenommen werden können. Unter diesem M. Separabile verschmelzen die beiden Punkte zu einem.

In der taktilen Wahrnehmung wird analog verfahren: Die Tastschärfe ist die Fähigkeit, zwei räumlich nebeneinander liegende Punkte noch als separate Reize wahrzunehmen. Dieses taktile Minimum Separabile ist abhängig von der jeweiligen Hautregion und beträgt an den Fingerkuppen ca. 1,5 (!) mm. Diese Tastschärfe nimmt bei bestimmten Erkrankungen (z. B. Diabetes) und im Alter ab und beträgt dann oft bis zu 4 mm. Die Erhaltung des feinen Tastsinnes wird jedoch durch Gebrauch (aufmerksames Tasten, Werken und Basteln, Spielen von Musikinstrumenten etc.) gefördert. Punktschriftleser verwenden i. d. R. die Fingerbeeren der Zeigefinger zum Ertasten der Schrift und an der bestmöglichen Tastschärfe dieser Hautregion hat sich die Größe der oben gezeigten „Braillezelle“ orientiert: sie ist ca. 4 x 6 mm groß. Die Höhe der fühlbaren Punkte liegt bei 0,4 mm oder etwas darüber.

Basisschrift

Die Basisschrift entspricht vom Aufbau her der „Schwarzschrift“ (so wird in diesem Zusammenhang die gedruckte, übliche Schrift von sehendem Menschen bezeichnet, also das, was Sie gerade lesen): ein Schwarzschriftzeichen wird durch ein Punktschriftzeichen codiert, gut zu sehen in der Brailletabelle oben.

Diese Schriftform wird jedoch nur für den Einstieg in den Schriftspracherwerb verwendet. Sehr schnell, nämlich sobald die Buchstaben taktil gut diskriminiert werden können, steigt man auf die

Vollschrift

Die Kürzungen der Vollschrift
Die Kürzungen der Vollschrift

um. Hier werden häufige Silben- bzw. Buchstabenkombinationen durch ein einziges Braillezeichen symbolisiert:

Punktschrift ist nicht so flüssig taktil lesbar wie Schwarzschrift. Blinde Menschen lesen durchschnittlich halb so schnell wie sehende. Daher – und wegen des enormen Platzaufwandes von Braille (es kann ja nicht verkleinert werden, da die Zeichen sonst wegen des Minimum Separabiles nicht mehr taktil unterscheidbar wären) – sind Kürzungen sehr willkommen. Im Laufe der Grundschuljahre wird daher ab dem 3./4. Schuljahr die

Kurzschrift

gelehrt. Sie besteht aus ca. 300 Kürzungen samt Regelwerk und lässt sich ein wenig mit unserer früher von Sekretärinnen verwendeten Stenographie vergleichen (wer es noch kennt ?). Die Platzersparnis beträgt 30 – 40 % und daraus resultiert bei geübten Kurzschriftanwendern auch eine höhere Lesegeschwindigkeit. In den folgenden zwei Bilder sehen Sie den gleichen Text, einmal in Basisschrift und einmal in Kurzschrift. Der geringere Platzbedarf und damit die schnellere Lesbarkeit wird sicherlich deutlich:

Platzbedarf Vollschrift
Platzbedarf Vollschrift

 

Platzbedarf Kurzschrift
Platzbedarf Kurzschrift

 

Hier noch einmal im unmittelbaren Vergleich und mit der entsprechenden Transkription in Schwarzschrift, die sicherlich in der Kurzschrift sehr kryptisch anmutet (im Zuge des kreativen Gestaltens dieser Webseite werde ich sicherlich in nicht allzu ferner Zukunft mehr Informationen über die Blindenkurzschrift veröffentlichen):

 

Platzbedarf Voll-/Kurzschrift_mit Übersetzung
Platzbedarf Voll-/Kurzschrift_mit Übersetzung

 

Zahlen, Mathematik

Marburger Matheschrift, Beispiel
Marburger Matheschrift, Beispiel

Zahlen werden, wie oben in der Brailletabelle zu sehen ist, durch mindestens zwei Zeichen symbolisiert: jeweils ein  Buchstabe von a bis j oder Kombinationen davon werden verwendet und, damit deutlich wird, dass es sich nicht um den Buchstaben, sondern um eine Zahl handelt, zusätzlich ein vorangestelltes Zahlenzeichen. (hier die Lösung des Bildes)

Alle Rechenzeichen werden selbstverständlich auch mit Punktschriftzeichen codiert. Ein paar kleine Beispiele sind ebenfalls in der Brailletabelle zu sehen. Aufgrund der begrenzten Kombinationsmöglichkeit der „Zelle“ (64) werden viele mathematische Operatoren mit mehreren Braillesymbolen codiert. Abhilfe bei diesem Dilemma schafft das Eurobraille (s. u.).

Musik

Selbstverständlich sind auch Musiknoten blinden Menschen zugänglich. Problematisch ist nur, dass man seine Hände gleichzeitig für das Lesen der Noten und für das Bedienen des Instrumentes benötigt (da haben es Sänger etwas besser).

Analog zur Schwarzschrift werden in einem Braillezeichen zwei Informationen codiert: die oberen 4 Punkte stehen für die Tonhöhe, die unteren 2 Punkte geben Auskunft über den (Zeit-)Wert der Note. Die Achtelnoten haben bspw. keine Kennzeichnung in den unteren beiden Punktbereichen, die Viertelnoten sind mit dem rechten unteren Punkt notiert, die halben mit dem linken unteren Punkt und die ganzen Noten mit beiden unteren Punkten. (Die anderen Zeitwerte lasse ich jetzt der Einfachheit halber außer Acht.) Alle anderen Informationen, die auch sonst in einem Schwarzschrift-Notensystem notiert sind, werden mit zusätzlichen Braillezeichen dargestellt.

Musik: Achtelnoten in Braille
Musik: Achtelnoten in Braille
Musik: Viertelnoten in Braille
Musik: Viertelnoten in Braille
Musik: halbe Noten in Braille
Musik: halbe Noten in Braille
Musik: ganze Noten in Braille
Musik: ganze Noten in Braille

Das letzte c in meinen Tonleiterbeispielen habe ich nicht mehr in Brailleschrift übertragen, da hier weitere Regeln des Musiknotenbrailles greifen müssten, v. a. die Kennzeichnung der Oktave. Die Beispiele sollten nur zur groben Verdeutlichung des Grundprinzips beitragen.

Fremdsprachen

Jede Sprache besitzt prinzipiell ihre eigene Brailleschrift. In Brasilien wird bspw. die portugiesische Punktschrift verwendet, in Südafrika sind es mehrere, ebenso gibt es selbstverständlich Mandarin, Kyrillisch u.s.w. Hier ein paar Beispiele, wie das Wort „Musik“ in der jeweiligen Landessprache in Braille aussieht – ich übernehme natürlich keine Gewähr für die sprachliche Richtigkeit, ich habe die Silben einfach in die landesübliche Brailleschrift übertragen… ?:

Beispiele für Braille in anderen Sprachen
Beispiele für Braille in anderen Sprachen

Eurobraille/Computerbraille

Im folgenden Abschnitt beschreibe ich das zeitgemäße Lese- und Schreibwerkzeug der blinden Menschen schlechthin: den Computer, in den meisten Fällen in seiner mobilen Form als Notebook/Laptop. Mit dem Einzug des PCs in den Alltag, wurde es notwendig, die Brailleschrift insofern anzupassen, dass beim 8-Bit-Code des Rechners alle 2= 256 Zeichen mit einem Braillecode dargestellt werden können. Daher wurde die 6-Punkt-Schrift um 2 Punkte unterhalb der eigentlichen „Zelle“ erweitert, das 8-Punkt-Braille/Computer-/Eurobraille war geboren.


Tasten und Hören

mechanische Punktschriftmaschine der Fa. Perkins
mechanische Punktschriftmaschine der Fa. Perkins

Bildungspolitisch ist das Thema „Inklusion“ derzeit in aller Munde. Früher gab es große Schwierigkeiten, wenn blinde Schüler am Unterricht einer allgemeinbildenden Schule teilnahmen: Sie schrieben auf einer mechanischen Punktschriftmaschine (und keiner außer ihnen selbst konnte das Geschriebene lesen) und waren darauf angewiesen, das Unterrichtsmaterial ebenfalls in Brailleschrift zu erhalten (das musste ja irgendjemand übernehmen, i. d. R. ein/e eingearbeitete/r Integrationshelfer/in). Zielgleicher Unterricht war durch diese Umstände sehr erschwert, was sich erheblich änderte, als Computer in den (Schul-)Alltag einzogen.

Notebook mit Braillezeile
Notebook mit Braillezeile

Heutzutage schreiben blinde Schüler auf einem herkömmlichen Notebook, jeder kann also auf das Display schauen und mitlesen. (Ich habe für das Foto nur die Darstellung des Textverarbeitungsprogrammes vergrößert, normalerweise sieht das Display aus wie bei jedem sehenden Menschen.) Dies setzt natürlich voraus, dass derjenige das 10-Finger-Tastschreiben beherrscht und dies wird bereits ab ca. des 3. Schulbesuchsjahres gelehrt. Blinde Jugendliche tippen oftmals viel schneller, als ihre sehenden Mitschüler mit einem Stift schreiben können.

Hinzu kommt das Erlernen zahlreicher Tastatur-Shortcuts, die zur Bedienung des Rechners und des Screenreaders (s. u.) nötig sind. Die Mausbedienung fällt ja aufgrund der fehlenden optischen Kontrolle des Mauszeigers weg. Im Prinzip erledigen blinde Menschen all das, was Sie höchstwahrscheinlich mit der Maus oder dem Touchpad ansteuern/anklicken, per Shortcut.

Zwei Zusatzeinrichtungen erlauben den blinden Menschen selbst am Notebook zu lesen und den Computer zu bedienen: die sog. „Braillezeile“ als Hard- und der „Screenreader“ als Software. Braillezeilen gibt es in unterschiedlichen Ausführungen, allen gleich ist jedoch, dass sie den Bildschirminhalt in Brailleschrift, nämlich in Eurobraille, übertragen (die Schriftart lässt sich übrigens bei Bedarf auch auf Vollschrift oder Kurzschrift umstellen, Eurobraille ist jedoch aus o.a. Gründen die Regel).

Braillezeile
Braillezeile
Braillezeile Nahaufnahme
Braillezeile Nahaufnahme

Schwierigkeiten entstehen nur hinsichtlich der Übersichtsfindung, denn Braillezeilen können nur 40 Zeichen gleichzeitig darstellen (im beruflichen Kontext gibt es auch größere Zeilen, die 80 Zeichen zeigen). Wir erfassen mit wenigen Augen-Blicken den Inhalt des Computerdisplays, während blinde Menschen nur einen sehr kleinen Ausschnitt gleichzeitig unter den Fingern haben.

Hier hilft nun der Screenreader. Dies ist eine Sprachausgabe, die den Bildschirminhalt hörbar macht. Die Ausführlichkeit dieser Sprachausgabe, Stimmen, Sprechgeschwindigkeit und vieles mehr sind individuell einstellbar. Solche Zusatzsoftware ermöglicht übrigens auch die barrierefreie Bedienung eines Smartphones (das übrigens auch mit einer Braillezeile gekoppelt werden kann). Es folgt ein Tonbeispiel des Screenreaders „VoiceOver“, der in dem Betriebssystem von Apple-Produkten, also OS X und IOS, enthalten ist. Ich öffne auf dem IPhone den Internetbrowser Safari, in dem ich bereits vorher die Adresse dieser Webseite eingegeben hatte. Anschließend scrolle ich bis zu diesem Abschnitt. Die Navigation erfolgt mittels bestimmter Fingergesten. Die kurzen akustischen Klänge zwischendurch dienen der Orientierung.

Für sehende Menschen ist es oft faszinierend zu erleben, wie geübte blinde Leute ohne Einsatz von Touchpad oder Maus ihren Computer steuern. Sie haben eine große Menge an Tastaturkürzel im Gedächtnis und navigieren mit Hilfe ihrer Sprachausgabe und Braillezeile oftmals in einer Geschwindigkeit, die für den Uneingeweihten kaum nachvollzogen werden kann.


Mit Braille spielen ?

 Hier können Sie Ihrem Spieltrieb freien Lauf lassen – aaaber ich warne vor: das Braille-Schiebepuzzle ist ganz schön schwierig! Es ist mir noch nicht gelungen es ganz zu lösen, falls es Ihnen gelingt, würde ich mich sehr über einen Kommentar (siehe Link unten im footer) freuen!  Das Memory ist gut für Braille-Einsteiger geeignet – es wird nochmal wesentlich vereinfacht, indem man sich eine Brailletabelle als Ausdruck daneben legt.

Viel Spaß!








Auf meiner Seite „Sinn-freies“ kann man mit Braille-Smilies experimentieren. Viel Spaß braille-schrift_callsign


Tasten – Fühlen – Weiten – Genießen

Kreatives Schaffen, auch die Beispiele, die ich auf dieser Webseite kurz vorstelle, sind meist eng mit der visuellen Wahrnehmung verbunden: Auswahl von Farben, Sortieren von Wolle, Auge-Hand-Koordination etc. Doch sie ist absolut nicht darauf beschränkt!

Blinde Menschen haben – genau wie sehende – ihre ganz individuelle Kreativität: Viele musizieren, stricken, kochen, lesen und schreiben Texte oder Gedichte, beschäftigen sich mit Audioaufnahmen und nutzen DAWs (Digital Audio Workstation, Software/Hardware zur Musikproduktion) etc. Phantasien haben, Ausdruck suchen, schöpferisch sein – diese Bedürfnisse stecken grundsätzlich in jedem Menschen.

Auch wenn der Zugang zu Kunst (Malen, Skulpturen/Reliefs gestalten, Tanzen, Musizieren etc.) für – zumindest geburtsblinde – Menschen nicht selbstverständlich ist, gibt es doch Viele, die tastend die Schönheit von künstlerlichem Ausdruck emotional wahrnehmen, also fühlen, ihr Inneres weiten und das fremde und auch eigene Schöpferische in vollen Zügen genießen.

Der Verein Blinde und Kunst e. V., gegründet Anfang der 1990er in Köln, ist bundesweiter Zusammenschluss blinder Künstler und Kunstinteressierter – und nicht nur beschränkt auf Malerei und Gestaltung.

Hier ein kurzes Video der Vernissage „Art Blind“ von 2013 in Köln:

Der Künstler Horst W. Müller ist leidenschaftlicher Verfechter von barrierefreier Kunst. Unter dem Motto „Auch Hände können sehen“ stellt er Werke aus, hält Vorträge zum Thema und bietet Workshops für blinde und sehbehinderte Menschen an.

An der Louis-Braille-Schule in Düren leben viele Jugendliche ihre Kreativität in der Musik aus:

 

 


Alltagskreativität für jeden!

Internationales Logo Blindheit
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